Linguistic Awareness of Cultures (LAC)

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Linguistic Awareness of Cultures (LAC) ist ein Trainingstyp im Bereich interkultureller Trainings, in denen die sprachlich-kommunikative Dimension interkultureller Interaktionsprobleme bearbeitet werden soll. == Hintergrund == Seit den späten 1970er Jahren wurde der Bedarf an interkulturell ausgerichteten Lehrbüchern in der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache von Praktikern wie Müller-Jacquier benannt. 1984 veröffentlichte Müller-Jacquier zusammen mit Martin Hog und Gerd Wessling das Sprachlernbuch „Sichtwechsel“ das eine „wichtige Innovation“ im Bereich der DaF-Lehrbücher darstellte. Nach Müller-Jacquier war es für die Entwicklung von Lösungen für interkulturelle Kommunikationsprobleme notwendig, die „zugrunde liegenden verbalen und nonverbalen Interaktionshandlungen“ zu dokumentieren und mit linguistischen Instrumenten zu analysieren, da oft vorschnelle Schlussfolgerungen gezogen würden. Dies ist auch als Schwäche verschiedener anderer Methoden zu benennen, die auf die „situative Handlungsattribution“ von Berichtenden (critical incidents) vertrauen, die aber bekanntermaßen durch die eigenkulturelle Perspektive nicht korrekt erfolgen kann.

Konzept

Veröffentlicht vom Bayreuther Professor Bernd Müller-Jacquier als „Linguistic Awareness of Cultures. Grundlagen eines Trainingsmoduls“, in Anlehnung an so genannte Culture Awareness Trainings, die allerdings zumeist keine linguistische Analyse beinhalten.

Ein zehnteiliges linguistisches Kategoriensystem erlaubt es interkulturelle Situationen systematisch zu analysieren, Grundprinzipien der Kommunikation zu verstehen und so die Reflexionsfähigkeit in Trainings zu entwickeln. Konventionen in der Kommunikation sind sprach- und kulturspezifisch, weshalb eine systematische Hypothesenbildung zu möglichen Attributionen seitens der Interaktionsparteien zum Verständnis beitragen kann. LAC ist in diesem Sinne ein konzeptuelles Werkzeug für die differenzierte Analyse sprachlichen Handelns und lässt sich Wissenschaftsgeschichtlich in die pragmatische Ausrichtung der Sprachwissenschaft nach dem Linguistic turn einordnen.

Müller-Jacquier definiert selbst keinen Kulturbegriff , rekurriert aber auf das diskursanalytische Verständnis von Kultur als ein Bedeutungssystem, das erst in der Interaktion konstituiert wird. Im Fokus steht die durch kommunikatives Handeln immer wieder neu erschaffene Inter-Kultur, die auf wechselseitigen Aktionen, Reaktionen und Re-Reaktionen beruht. Somit ist LAC ein Trainingstyp, der zwar kulturspezifisch einsetzbar ist, jedoch eine grundlegende Methodik darstellt, die verschiedenen Kulturbegriffen angepasst werden kann.

Lernziel

Linguistisch ausgerichtete Trainingskonzepte wie auch LAC haben zumeist das Ziel die intuitiv ablaufenden Zuschreibungsprozesse zu suspendieren. Das bei fast allen Menschen automatisch ablaufende Zuordnen von Ursache und Wirkung (Attribution) und das unbewusst gesteuerte (intuitive) Reagieren darauf soll ausgesetzt oder zumindest verzögert werden, sodass ein reflektiertes, bewusstes Steuern der Reaktion möglich wird. Dieses meta-kommunikative Vermögen wird auch Monitoring-Effekt genannt, ein Ziel, dass bei MuttersprachlerInnen erreicht werden soll und dem der Fremdsprachenlernenden gleicht. Neben der Suspendierung von Attribution soll also eine möglichst genaue Unterscheidungsfähigkeit (Diskrimination) für kommunikatives Handeln entwickelt werden. Eine Fähigkeit, die Menschen gerade nicht in die Wiege gelegt ist. Mittels des LAC-Rasters, dessen zehn Kriterien kulturspezifischen Ausprägungen (Konventionalisierung) auf sprachlicher wie nicht-sprachlicher Ebene unterliegen, soll diese Unterscheidungsfähigkeit geschult werden und damit die Ambiguitätstoleranz gesteigert werden.

Zielgruppen und Einsatzmöglichkeiten

LAC-Trainingsmodule können eingesetzt bzw. eingebunden werden:

  • in verschiedene methodische Arbeiten mit critical incidents
  • ergänzend in Culture-Awareness-Trainings
  • bei vorbereitenden Maßnahmen zum bi- oder multikulturellen Teambuilding zur Sensibilisierung für kommunikative Interaktionsprozesse
  • in handlungsbezogenem Fremdsprachenunterricht

Somit lässt sich LAC in sehr vielen interkulturellen Trainings einsetzen. Besonders hilfreich kann der Einsatz in Trainings für TN sein, die in folgenden Bereichen involviert sind:

  • Behördenkommunikation
  • internationale Geschäftskontakte
  • Erlernen von Fremdsprachen

Vorkenntnisse oder -erfahrungen sind nicht erforderlich, jedoch ist ein gewisser vorhandener Erfahrungsschatz mit interkulturellen Begegnungen unter den TN wünschenswert.

Praktische Umsetzung von LAC

Wie auch der Culture Assimilator arbeitet LAC mit so genannten critical incidents. Dies kann in Form von vorhandenen Trainings- oder Lehrfilmen geschehen und/oder schriftlichen Transkriptionen, die aus authentischen Situationen aus dem Umfeld der Trainingsteilnehmenden stammen oder fiktiv sein können.

Zunächst wird das angestrebte Ziel definiert und das ausgewählte Fallbeispiel präsentiert. Beispiele sind Kontrastbeispiele und lassen keine verallgemeinernden Schlüsse in Bezug auf die jeweilige Kultur zu. Danach sammelt die Gruppe verschiedene metakommunikative Hypothesen.

Anschließend wird das Rasterschema der Analysekriterien präsentiert, die nun „gefüllt“ werden. Die Kategorien werden schrittweise mit den TN eines Trainings erarbeitet. Die Einzelkriterien werden dann in beliebiger Reihenfolge durch Fallbeispiele illustriert, ergänzt und analysiert. Möglichkeiten dazu sind interaktiver Vortrag, Gruppenarbeit und Selbstlernphasen. Ziel ist es das Analyseverfahren zu festigen, weshalb das Analysieren verschiedener kritischer Interaktionssituationen empfohlen wird.

Abschließend werden in einer Plenumsdiskussion die Erklärungshypothesen auf ihre Plausibilität geprüft, jedoch geht es nicht darum, eine einzige Hypothese als „richtige“ zu markieren. Sinnvoll ist es hingegen, in der interkulturellen Kommunikation möglichst lange mehrere Hypothesen für die Gründe von Missverständnissen gleichwertig aufrecht zu halten, da sich plausible Ursachen meist im Laufe der Interaktion herauskristallisieren.

Es kommen zwei wesentliche Schritte zum Einsatz

  • Diskrimination der kommunikativen Handlungen – es soll gelernt werden, die Gründe für ein fremd erscheinendes Verhalten in unbekannten Kommunikationsregeln zu suchen, indem diese erkannt werden
  • Suspendierung der Attribution – die Reaktion des Gegenübers wird nicht in erster Linie auf fremde kulturspezifische Wertorientierung zurückgeführt

Das Mittel zum Zweck ist das Raster zur Analyse sprach- und kulturspezifischer Interaktionskonventionen. Es enthält die folgenden zehn Kriterien:

  1. soziale Bedeutungen/Lexikon
  2. Sprechhandlungen und Sprechhandlungssequenzen
  3. Gesprächsorganisation: Konventionen des Diskursablaufs
  4. Themen
  5. Direktheit/Indirektheit
  6. Register
  7. Paraverbale Faktoren
  8. Nonverbale Faktoren
  9. Kulturspezifische Handlungen (Rituale) und Handlungssequenzen
  10. Kulturstandards, spezifische Wertorientierungen

Nähere Erläuterungen und Beispiel für die erste Kategorie

Die soziale Bedeutung (Lexikon) eines Wortes ist variabel, je nach Kontext und Intention der Verwender. GesprächspartnerInnen müssen sich also fragen, ob ihr Verständnis des jeweiligen Ausdrucks dem ihres Gegenübers entspricht oder ob die Vorstellungen auseinander gehen. Worte evozieren Assoziationen, welche kulturspezifisch (wenn nicht sogar individuell) sind (was besonders auch ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen in ihrer Arbeit vor große Herausforderungen stellt). Ein Beispiel dafür ist der Begriff KONZEPT-CONCEPT, der regelmäßig in Planungstreffen zwischen deutschen und französischen GeschäftspartnerInnen zu Missverständnissen führt, da unter Konzept in Deutschland ein ausgearbeiteter Plan verstanden wird, in Frankreich dagegen ein skizzenhafte Ideensammlung gemeint ist. Die Kulturspezifik von Assoziationen bestimmter Wörter wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Experimenten untersucht z.B. von Roche/Roussy-Parent 2006.

Kritische Würdigung

Mit LAC lassen sich interkulturelle Interaktionen differenziert analysieren. Durch den zu anderen Methoden komplementären Ansatz kann mit LAC sprachliches Handeln in seiner Komplexität umfassend erfasst werden und bietet zudem vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Im Fremdsprachenunterricht bzw. interkulturellen Trainings mit linguistischer Ausrichtung kann LAC eine Brückenfunktion zwischen Spracherwerb und interkultureller Sensibilisierung übernehmen. Sinnvoll ist der Einsatz in einer länger dauernden Ausbildung z.B. im Rahmen eines Hochschulstudiums oder in Beratungen.

Die Arbeit mit LAC erfordert wie alle gesprächsanalytisch basierten Trainingsmethoden mehr Zeit als in der Praxis meist für interkulturelle Trainings zur Verfügung steht. Der hohe zeitliche Aufwand liegt vor allem in der aufwendigen Datensammlung, deren Aufbereitung und Analyse in der Vorbereitung eines Trainings oder einer Schulung begründet, auch in der Realisierung selbst muss viel Zeit für die Analyse eingeplant werden. Evaluierungen von LAC liegen bislang nur in geringem Umfang vor.

In der Diskursforschung bestehen Zweifel, ob sich kommunikatives Handeln allein durch Reflexion und Schulung verändern lässt. Menschliche Kommunikation ist Routinehandeln, dass sich dementsprechend nur durch die Aneignung neuer Routinen ändern lässt, was wiederum zumindest zeitintensiv wenn nicht sogar psychologisch hochkomplex ist. Diese Frage betrifft aber die Methoden interkultureller Trainings allgemein. Ähnlich verhält es sich mit der Kritik ob die reale Komplexität interkultureller Interaktionen sich in Training überhaupt abbilden oder reproduzieren lässt.

Weblinks

Literatur

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